Rückblende (3): Dezember

Liebes Tagebuch,

wir haben einiges aufzuholen.

Der Dezember präsentierte sich sehr durchwachsen: Ruhe und Stress, Vergnügen und Strapazen, Freude und Trüb­sal – es war alles dabei. Ergänzt von der vermeintlich kürzesten Erkältung meines Lebens, etlichen Litern Glühwein und dem ein oder anderen vorweihnachtlichen Gebäckstück.

Pünktlich zum Monatsanfang hielten zwei wunderbare Adventskalender Einzug in die gute Stube: Der noch immer im Ausland weilende beste Freund hatte Unmengen an Schokolade des Weges gesandt, die ich seiner Anweisung folgend eigenhändig in die leeren Säckchen des vergangenen Jahres füllte. Mami hingegen war über einen Saatguthandel hergefallen und überraschte mich mit vierundzwanzig Tüten Gemüse- und Kräutersamen, deren Inhalt im nahenden Frühjahr in die Familienbeete umziehen wird.

@ Dirty South

Ich buk die obligatorischen Vorweihnachtsplätzchen, verpackte und verschickte sie. Der erste Schnee fiel am Nikolaustag, doch schon zum abendlichen Konzert der Herren Tim Neuhaus und Max Prosa wateten wir durch Matsch und Schneeregen. Das tat der melancholisch-versonnenen Stimmung allerdings gar keinen Abbruch, im Gegenteil. Tags darauf protestierte ich gegen das Übel der Welt, besuchte einen winzigen veganen Weihnachtsmarkt, aß den besten Sahnekuchen seit Jahren und wippte auf einem weiteren Konzert. Letzteres entgegen der ursprünglichen Planung ohne den besten Freund, dessen Rückkehr wir erst kurz vor Heiligabend begingen. Just da das ramponierte Plätzchenpaket am ausländischen Bestimmungsort eingetroffen war.

Etwa zur gleichen Zeit zog die temporäre Mitbewohnerin aus. Ich hatte darum gebeten.

Das weihnachtliche Zusammensein mit meinen Lieben begann vielversprechend: Am Morgen der Reise in die Heimatstadt warf die Welt mit Farben und Poesie nur so um sich, der Sonnenaufgang war ebenso kitschig-schön wie die pitoresken Dörfer und Kirchen, die Teiche und frühnebelverhangenen Felder, an denen der Zug vorüberfuhr. Von einigen familiären Unstimmigkeiten und einer unberechtigten Hundehaufenbeseitigungsforderung in Erich-Mielke-Manier abgesehen sollten die Weihnachstage friedlich bleiben. Ich lernte den Rest meiner neuen Familie kennen, wischte fliegende Kloßmasse von den Küchenmöbeln, speiste gleichwohl ganz vorzüglich und gewann fünfzig Euro, die der Stiefbruder im Brustton der Überzeugung gegen meinen veganen Durchhaltewillen setzte.

Heimatfahrt

Als Omi plötzlich auf die Idee kam, mir neben ihrer legendären Kaffeekanne auch die Bols Ballerina in der Goldwasser-Flasche von 1968 zu vermachen, und zwar sofort, ergriff mich wieder dieses zutiefst beunruhigende Gefühl, sie würde auf eine merkwürdige, völlig absurde Weise ihr Ende vorhersehen – sie jedoch erklärte meine Befürchtungen kurzerhand für Unsinn. Wir machten Bratäpfel mit Vanillesoße, reparierten den Kellerschrank und spazierten durch die Siedlung, um Schwibbögen zu zählen wie Opi und ich das früher getan hatten. Am Ende der Feiertage nahm ich sowohl die Kaffeekanne als auch die Spieluhr mit nach Hause.

Omi

Sonnenuntergang überm Feld

Altes Haus

Der Rest des Jahres war von Paranoia, Wut und dem Gefühl von Ohnmacht geprägt, gekrönt von einer Silvesternacht, die mich eine Zombieapokalypse herbeisehnen ließ. Entgegen meiner üblichen Gewohnheiten fasste ich, von Trollen im Internet und der Menschheit generell entnervt, drei Vorsätze fürs neue Jahr: Mehr Bücher lesen. Häufiger an die Ostsee fahren. Dinge gegen Überwachung tun.